Fragen über Fragen zum 50. Geburtstag der Mainzer Weinbörse
1. Was ist die Mainzer Weinbörse und wann fand sie zum ersten Mal statt?
Die heutige Mainzer Weinbörse wurde erstmals am 22. Mai 1974 unter dem Namen „Rheinhessische Rieslingbörse“ im Kurfürstlichen Schloss in Mainz ausgerichtet. Sie war eine eintägige Verkaufsmesse aller Mitglieder der „Vereinigung Rheinhessischer Rieslinggüter e.V.“ (bis 1971 Verein der Naturweinversteigerer in Rheinhessen). Zugelassen waren jedoch nur Wiederverkäufer. Eine zweite Rieslingbörse folgte am 6. und 7. Mai 1975. Im folgenden Jahr wurde die Veranstaltung für Weingüter aus dem Rheingau und dem Anbaugebiet Nahe geöffnet, in „Mainzer Weinbörse“ umbenannt und auf drei (später zwei) Verkaufstage ausgedehnt. Seit 1978 findet die Börse in der Rheingoldhalle zu Mainz statt, mittlerweile immer am letzten Sonntag und dem darauffolgenden Montag im April. Eine Fachmesse ist sie bis heute.
Eine „Gutswein“ genannte Veranstaltung für Endverbraucher, die erstmals im Jahr 2001 am Samstag vor der Weinbörse in der Rheingoldhalle stattfand, wurde bald darauf nach Berlin verlegt und mit der Präsentation der „Großes Gewächs“ genannten trockenen Spitzenweine am ersten Septemberwochenende verbunden. Beide Veranstaltungsformate existieren mittlerweile nicht mehr.
2. Warum wurde die Weinbörse ins Leben gerufen und von wem?
In den sechziger Jahren hatten die jährlichen Weinversteigerungen in den traditionellen „Qualitätsregionen“ Rheingau, Pfalz, Mosel-Saar-Ruwer und der rheinhessischen Rheinfront ihre wirtschaftliche Bedeutung verloren. Immer mehr renommierte Güter vermarkteten ihre Weine nunmehr direkt. In den anderen Regionen waren namhafte Weingüter ohnehin rar gesät, regelmäßige Versteigerungen entsprechend unbekannt.
Auch die Spitzenweinversteigerungen der im Verband Deutscher Naturweinversteigerer (VDNV) zusammengeschlossenen Weingüter wirkten immer mehr wie Relikte einer vergangenen Zeit. Ohnehin hatten sie in der Nachkriegszeit erst spät begonnen (erstmals 1955), fanden in der Folge nur unregelmäßig statt und wurden unter dem Eindruck der vielen schlechten Jahrgänge in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ganz aufgegeben. Eine gemeinsame Bühne hatten die einst weltberühmten und noch in den fünfziger Jahren hochbezahlten Riesling Spätlesen und -auslesen aus Deutschland nicht mehr.
Ohnehin hatte Riesling in der Nachkriegszeit einen schweren Stand. Viele Jahrgänge fielen witterungsbedingt so schlecht aus, dass es immer wieder an „selbständigen“ Naturweinen mangelte. Der Erfindungsreichtum aber kannte keine Grenzen. Mit Hilfe von Süßreserve ließen sich Spätlesen in fast jeder gewünschten Menge fabrizieren, lasche Verschnittregeln ließen dank des großzügigen Einsatzes von Müller-Thurgau auch einfache Rieslinge als „mild“ erscheinen. Das Konzept „Naturwein“ hatte offenkundig ausgedient.
Entsprechend schlecht stand es daher auch um den Zusammenhalt der Protagonisten dieser Idee. Weinbaupolitisch geriet der VDNV, der das Weingesetz von 1930 maßgeblich in seinem Sinn hatte beeinflussen können, angesichts einer stetig wachsenden Phalanx aus Genossenschaften und Kellereien immer stärker in die Defensive. Mit dem seit 1959 geplanten neuen Weingesetz drohte sogar ein Verbot der Kategorie „Naturwein“. Intern nahmen die Zentrifugalkräfte zu. In der Pfalz traten alle Genossenschaften aus dem Regionalverband des VDNV aus, im Rheingau war der wegen seiner vielen adeligen Mitglieder als elitär verschrien, in Rheinhessen gaben Ökonomieräte und Oberstleutnants den Ton an, in Baden waren keine Aktivitäten mehr zu beobachten.
Das Weingesetz, das unter Mitwirkung auch fast aller führenden Mitglieder des VDNV erarbeitet worden war, trat nach einer Verzögerung aufgrund einer Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit zweijähriger Verspätung im Juli 1971 in Kraft. „Naturwein“ wurde durch ein nach Mindestmostgewichten gestuftes, aber regional differenziertes System von Prädikatsweinen (Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese) ersetzt. Der gute Jahrgang 1971 mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an „Prädikatsweinen“ schien die Erwartung zu bestätigen, dass der Weinbau in Deutschland auf einem neuen und auch guten Weg war. Zu dem weithin verbreiteten Optimismus trug auch der Umstand bei, dass der Weinbau dank zahlreicher Neuzüchtungen die strukturellen Nachteile gegenüber den südlicheren Ländern wie kühles und unbeständiges Klima, Frostgefährdung und oft niedrige Mostgewichte würde überwinden können.
Die massive Ausdehnung der Rebflächen in Flachlagen und die allgemeine Begeisterung für Müller-Thurgau und andere Neuzüchtungen gingen gleichwohl nicht mit einem Rückgang des Riesling-Anbaufläche einher. Nach dem Willen der Spitzenweingüter im Rheingau, an der Mosel und ihren Nebenflüssen sowie an der Mittelhaart und am Roten Hang sollte er allen Moden zum Trotz die Leitrebsorte bleiben. Also schlossen sich im Rheingau daher mehrere große, zumeist adelige Weingüter zusammen und veranstalteten 1971 erste „Kloster Eberbacher Weinmesse“. Der Erfolg der an ein breites Publikum gerichteten Veranstaltung war so groß, dass sie mehr als zwanzig Jahre lang ein fester Termin im Reigen der regionalen Weinpräsentationen sein sollte. Auch die für Privatkunden offenen Herbstversteigerungen des Großen Rings in Trier und an der Nahe gingen weiter. Den VDNV brauchte es für all das nicht.
Daher war es nur konsequent, den 1910 zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Naturweinversteigerer am Rhein, in der Pfalz und an Mosel, Saar und Ruwer gegründeten Dachverband aufzulösen. Doch es kam anders. Peter von Weymarn, der Besitzer des Weingutes Heyl zu Herrnsheim in Nierstein, konnte die 16 Teilnehmer (von 90 Eingeladenen) der mutmaßlich letzten Zusammenkunft dessen, was von dem VDNV übriggeblieben war, im Taunushotel in Wiesbaden im Herbst 1971 davon überzeugen, die Entscheidung über die Auflösung des Verbandes noch einmal zu überdenken. Sein Argument: Die Bundesrepublik sei stark korporatistisch organisiert, und ohne einen überregionalen Zusammenschluss hätten die Spitzenweingüter kein Sprachrohr mehr.
Über den Winter 1971/72 besuchte Weymarn die Vorsitzenden mehrerer Regionalverbände, um die Chancen auszuloten, einen neuen Bundesverband ins Leben zu rufen, der mehr Kompetenzen haben solle als der alte, hatte dieser doch gegenüber einzelnen Mitgliedern keine Befugnisse. Im März 1972 wurde der Beschluss gefasst, an einer Interessenvertretung der Spitzenweingüter in Deutschland festzuhalten. Weymarn entwarf eine neue Satzung, und da sich niemand fand, der die Nachfolge von Wolfgang Michel (Domdechant Werner, Hochheim a.M.) als Vorsitzendem antreten wollte, wurde der Außenseiter mit 35 Jahren zum Vorsitzenden einer Gruppierung gewählt, die sich zunächst „Verband Deutscher Prädikatswein-Versteigerer“ nannte. Seine Ahnung, dass „die Regionalmächtigen ungern auf Einfluss verzichten würden“, sollte sich in den kommenden sechs Jahren immer wieder bewahrheiten. Eines jedoch ist sicher: Ohne die Weitsicht Weymarns, einem 1936 im estnischen Reval (Tallinn) geborenen Deutsch-Balten, der sich erst nach Heirat und dem krankheitsbedingten Ende einer Karriere als Astrophysiker im Jahr 1968 mit Weinbau befasst hatte, gäbe es den VDP nicht.
Neue Aktivitäten entfaltete Bundesverband zunächst nicht. Zudem waren darin nur noch die Regionen Rheingau, Rheinpfalz, Rheinhessen, Mosel-Saar-Ruwer, Nahe und Franken vertreten. In Württemberg gab es immerhin eine Arbeitsgemeinschaft der weniger als ein Dutzend, allesamt adeligen „Selbstmarkter“. Diese ließen sich auch dafür gewinnen, sich 1974 an der ersten Spitzenweinversteigerung nach dem Inkrafttreten des neuen Weingesetzes zu beteiligen. Dieses Format taugte jedoch nicht dazu, dem Verband und seinen Mitgliedern zu einer neuen Identität zu verhelfen. Was also tun?
Als sich auf dem Weinmarkt im Herbst 1973 unter dem Eindruck der ersten Ölkrise und der gleichzeitigen Hochzinspolitik Stillstand breitmachte, kam Weymarn eine Idee. Warum nicht nach dem Vorbild der 1971 ins Leben gerufenen Eberbacher Weinverkaufs-Messe nicht auch den rheinhessischen Spitzenweinen eine Bühne bieten? Anders jedoch als die Veranstaltung in Eberbach, die außer den Staatsweingütern nur den großen adeligen Weingütern des Rheingaus offenstand, sollten sich alle knapp ein Dutzend Mitglieder des vormaligen Verbands der rheinhessischen Naturweinversteigerer an einer neuartigen Weinmesse beteiligen. Diese aber sollte nicht dem Privatkundengeschäft Konkurrenz machen, sondern sich ausschließlich an Wiederverkäufer wenden, also den Fachhandel und Großunternehmen wie Bayer, Hoechst oder die BASF, die eigene Weinkellereien unterhielten. Gastronomen, die sich für deutsche Spitzenweine interessierten, gab es damals bestenfalls eine Handvoll, Sommeliers überhaupt nicht. Weinkarten waren noch lange Sache der Oberkellner.
Tatsächlich gelang es Weymarn über den Winter 1973/74, einen „Arbeitskreis Weinmesse“ ins Leben zu rufen. In den anderen Regionen scheinen seine Pläne nicht sonderlich ernst genommen worden zu sein. Aus der Pfalz wurden bei einer Mitgliederversammlung des VDNV Anfang Mai 1974 wettbewerbs- und weinrechtliche Bedenken laut, an der Mosel mokierte man sich über die Kollegen aus Rheinhessen, die glaubten, sich Rieslinggüter nennen zu können, wo doch nur dreißig Prozent der Rebfläche mit Riesling bestockt sein müssten.
Ob Weymarn die bald sogenannte „Rheinhessische Rieslingbörse“ schon immer so konzipiert hatte, dass sie sich zu einer überregionalen Messe würde entwickeln können, lässt sich seinen Lebenserinnerungen nicht entnehmen. Auch nicht, ob er die für Mainz ausersehene Veranstaltung perspektivisch als einen Katalysator ansah, der dem VDP als Verband durch die „Selbstdarstellung seiner Mitglieder“ neues Renommee verschaffen könnte. Doch so, wie es ohne Weymarn den VDP nicht geben würde, so würde es ohne die von ihm ersonnene Rieslingbörse auch die Mainzer Weinbörse nicht geben.
3. Wer organisierte die Riesling- und die Weinbörse?
Weymarn hatte die „Rheinhessische Rieslingbörse“ in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins (e.V.) gegründet. Erster Vorsitzender des e.V. wurde er selbst. Das Amt des VDP-Präsidenten wusste er von seinem Engagement für die eigene Region und deren Weine zu trennen.
Die „Mainzer Weinbörse“ hingegen wurde hingegen zunächst Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet, die Geschäftsstelle war zunächst Weymarns Weingut Heyl zu Herrnsheim in Nierstein, dann ein PR-Unternehmen in Frankfurt. 1980 wurde die Weinbörse in eine Erzeugergemeinschaft umgewandelt und als wirtschaftlicher Verein in das Vereinsregister eingetragen. Der Name „Mainzer Weinbörse“ wurde gesetzlich geschützt, jedoch konnten weiterhin nur Mitglieder des VDP auf Antrag der Erzeugergemeinschaft beitreten.
Das Amt des Geschäftsführenden Vorstands der Erzeugergemeinschaft übernahm der Vorsitzende des Ersten Versteigerungsrings der Nahe, der Kreuznacher Weingutsbesitzer Peter Anheuser, genannt Ochs. Organe der Weinbörse waren zunächst nur Vorstand und die Mitgliederversammlung, später kam ein Aufsichtsrat hinzu, in den alle Regionen des nunmehrigen (seit Mai 1974) Verbands Deutscher Prädikatsweingüter einen Vertreter entsenden konnten, die auf der Weinbörse vertreten waren. Auch ein Repräsentant der Stadt Mainz nahm anfangs an den Aufsichtsratssitzungen teil. Seit Ende der achtziger Jahre hatte bis zur organisatorischen Verschmelzung der Weinbörse mit dem VDP auch ein Vertreter der Kommissionäre im Aufsichtsrat Stimmrecht.
Die Reformunwilligkeit und charakterliche Eigenheiten Anheusers sowie personelle und organisatorische Doppelstrukturen führten am 8. Dezember 1998 zu der Übernahme des Geschäftsführenden Vorsitzes der Erzeugergemeinschaft durch den seit 1990 amtierenden VDP-Vorsitzenden Michael Prinz zu Salm-Salm. Ein Jahr später wurde der Verein aufgelöst. Seither wird die Mainzer Weinbörse von der (mittlerweile ebenfalls in Mainz ansässigen) Geschäftsstelle des VDP organisiert.
4. Welche Weingüter haben sich 1974 an der ersten Weinbörse beteiligt?
Mitglied werden konnten in den beiden ersten Jahren nur Betriebe, die der „Vereinigung Rheinhessischer Rieslinggüter“ angehörten, einem Regionalverein des Verbands der Prädikatsweingüter (VDP).
1974 nahmen an der ersten Weinbörse elf Weingüter mit insgesamt 105 Weinen und einer Gesamtmenge von etwa 350 000 Flaschen teil. Der Handel wurde mit Mengenrabatten von bis zu 20 Prozent des Handelsgrundpreises einem allgemeinen Messerabatt von zehn Prozent am Börsentag und der Möglichkeit eines Termineinkaufs von bis zu 90 Tagen nach Mainz gelockt. Nachkäufe zu Messepreisen waren noch Monate später möglich. Ein „informatives Rückenetikett“ trugen die georderten Weine aber nur im ersten Jahr. Manche Weingüter statten ihre Weine stattdessen später mit einer Halsschleife aus, auf der „Mainzer Weinbörse“ zu lesen war.
1975 gehörte viel Mut dazu, abermals eine „Rheinhessische Rieslingbörse“ zu veranstalten. Die 1974er Ernte in Nierstein und Umgebung war buchstäblich ins Wasser gefallen, Spitzenweine wurden nur wenige auf die Flasche gebracht. Dennoch zog die Börse so viele Besucher an, dass in der Summe mehr als eine Million Mark umgesetzt wurden. Das Wagnis hatte sich gelohnt.
5. Was hatte (und hat) die Stadt Mainz von der Ausrichtung der Riesling- und der Weinbörse durch den VDP?
Für die Ausrichtung einer Handelsmesse in Mainz sprach zunächst die räumliche Nähe zu den wichtigsten (Rheingau, Pfalz, Mosel-Saar-Ruwer, Franken) und größten (Rheinhessen) deutschen Anbaugebieten. Aus diesem Grund konnte Mainz auch auf eine jahrhundertealte Tradition als Zentrum des deutschen Weinhandels zurückblichen. Ausgangs des 20. Jahrhunderts gab es viele Kommissionäre und Weinhandlungen auf engstem Raum wie in Mainz und Umgebung. Nicht so bedeutsam, aber für das Lebensgefühl in der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz nicht zu unterschätzen, war auch die Bedeutung der „Weinstadt“ Mainz. Innerhalb der Gemarkung der Stadt waren 400 Hektar mit Reben bestockt. Übertroffen wurde Mainz als Großstadt mit Weinbau nur noch von Stuttgart.
Es waren aber nicht nur die Kombination vieler günstiger Voraussetzungen, die die für die Ausrichtung einer Weinmesse in Mainz sprachen. Der junge Leiter des städtischen Amtes für Wirtschaftsförderung, der aus der Landau (Pfalz) stammende FDP-Politiker Rainer Brüderle, erblickte in der Börsen-Idee seines Parteifreundes Peter von Weymarn eine Chance, die Reputation von Mainz als Weinstadt zu erhöhen. Beide Rieslingbörsen wurden auf Betreiben Brüderles seitens der Stadt durch die kostenlose Überlassung des Schlosses, Beflaggung, die Aufstellung von Transparenten und die Ausrichtung eines Empfangs unterstützt,
Nach der Umbenennung in Mainzer Weinbörse übernahmen Brüderle und der Oberbürgermeister Jockel Fuchs nicht nur eine inoffizielle Patenschaft für das Projekt. Die Stadt wurde auch offiziell Partner der nunmehr überregional ausgerichteten Veranstaltung und unterstützte die Werbemaßnahmen der Börse anfangs mit 7500 Euro p.a.. Von 1981 an wurde das in Rot gehaltene Wappen der Stadt in Katalogen und auf Briefbögen gemeinsam mit dem schwarzen Traubenadler des VDP (als Garant der Qualität der Weine) das Erkennungszeichen der Weinbörse schlechthin. Eine bessere und (billigere) Werbung für die Stadt Mainz hat es bis zu dem kometenhaften Aufstieg des Unternehmens BionTech während der Corona-Pandemie 2020 über Jahrzehnte nicht gegeben. Und ohne die Weinbörse des VDP wohl auch keine (2008 erfolgreiche) Bewerbung um Aufnahme der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt in die Riege der „Great Wine Capitals“.
6. Warum wurde aus der „Rheinhessischen Rieslingbörse“ überhaupt die „Mainzer Weinbörse“?
Außer den traditionellen Spitzenweinversteigerungen des VDP gab es in Deutschland keine Veranstaltung, in dem sich Weingüter aus mehreren Regionen gleichzeitig einer Fachöffentlichkeit präsentieren konnten. Auch VDP-intern gab es keine Veranstaltungen, in denen die Weine der einzelnen Regionen vorgestellt wurden. Diesem Mangel wollte Peter von Weymarn in seiner Eigenschaft als VDP-Präsident abhelfen und die Weinbörse zur ersten und einzigen übergebietlichen Weinfachmesse in Deutschland ausbauen. Angeboten werden – so die Idee – sollten ausschließlich Erzeugerabfüllungen. Der Traubenadler, seit 1926 das Gütezeichen des VDP, sollte Vertrauen erwecken und ein Mindestqualitätsniveau garantieren. Beworben wurde die Börse perspektivisch mit einem doppelten Versprechen: „Optimale Marktübersicht“ und „zeitsparende Einkaufschancen“.
Über den Sommer 1975 wurde ein „Koordinationsausschuss Weinmesse“ ins Leben gerufen, an dessen Sitzungen über die Vertreter Rheinhessens und der Stadt Mainz hinaus Repräsentanten des Ersten Versteigerungsrings der Nahe und der sogenannten „kleinen Messerings“ des Rheingauer Weingutsbesitzer teilnahmen. Rückblickend sprach Weymarn davon, dass er zunächst nur den Plan verfolgt hatte, die „Messeaktivitäten des Rheingaus, Rheinhessens und ähnliche Pläne der Nahe zu koordinieren, um ein babylonisches Durcheinander von Konditionen, Ankündigungen und Terminen zu verhindern“. Vertreter der Rheinpfalz waren zu den Sitzungen des Kreises eingeladen, erschienen aber nicht. Nachdem am Ende die Zeitspanne bis zum Messebeginn bereits so knapp (war), dass eine Ausschreibung der Beteiligung unter allen VDP-Mitgliedern zu nicht sinnvoll erschien, beteiligten sich an der ersten Mainzer Weinbörse 25 Betriebe aus Rheinhessen, dem Rheingau und von der Nahe mit rund 300 Weinen. Der Umsatz übertraf mit mehr als einer Million Mark alle Erwartungen.
Noch im selben Jahr beschlossen die sogenannten Messegüter, „die weiteren Anbaugebiete zur Teilnahme aufzufordern“. Weymarn bat alle Regionalvorsitzenden, die Weinbörse den jeweiligen Mitgliedern zu empfehlen. Bis Mitte der neunziger Jahre machte indes stets nur eine Minderheit der VDP-Betriebe von dieser Möglichkeit Gebrauch. Zu der „VDP-Messe“ von heute, auf der die meisten Güter und alle Anbaugebiete vertreten sind, wurde die Weinbörse in den neunziger Jahren und damit zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung.
7. Wie hat sich die Weinbörse anfangs finanziert und wie ist es heute?
Neben einem einmaligen, allerdings mit wenigen hundert Mark nicht prohibitiv hohen „Eintrittsgeld“ in den Trägerverein mussten die Weingüter zur Finanzierung der Unkosten der Börse jeweils ein ebenfalls recht niedriges „Startgeld“ und ein „Nummerngeld“ je angestelltem Wein entrichten. Der Löwenanteil der Kosten wurde durch die Abführung eines zunächst nicht näher festgelegten Anteils des Umsatzes gedeckt. Die im Vergleich mit den damals führenden Messen wie der Anuga (Köln) und der Intervitis (Stuttgart) niedrigen finanziellen Hürden sollten es Weingütern unabhängig von ihrer Größe ermöglichen, an der Riesling- beziehungsweise Weinbörse teilzunehmen. Dieses auf Autarkie angelegte Konzept, das ebenfalls auf Peter von Weymarn zurückgeht, ging von Beginn an aufgegangen. Noch 1999 und damit vor der Verschmelzung des Weinbörse-e.V. auf den VDP war es möglich, die mittlerweile auf mehr als 110 000 Mark gestiegenen Kosten für die Ausrichtung der Börse (ein gutes Viertel davon entfiel auf die Raummiete, ein weiteres Viertel auf Werbung, Katalog und Pressearbeit) durch die Jahresbeiträge (81000 Mark), Nummerngeld (21000 Mark) sowie den Verkauf von Anzeigenplätzen und Sponsoring zu decken. Das in den Grundzügen bis heute unveränderte Finanzierungsmodell machte (und macht) die Börse nicht nur weitgehend unabhängig von den wechselnden Weinkonjunkturen und den Interessenvertretungen der nach Deutschen Weinwirtschaft.
8. Wie wurde die Weinbörse in der Weinwelt bekannt?
In den ersten Jahren wurde mit Hilfe verschiedener PR-Agenturen und hohem finanziellen Einsatz (bis zu 25.000 Mark p.a.) eine selten professionelle Öffentlichkeitsarbeit betrieben. In deutschen und englischen Fachzeitschriften wurden frühzeitig Anzeigen aufgegeben, regelmäßige Pressemitteilungen weckten ab Januar eines jeden Jahres die Erwartungen an die Möglichkeit, alle Weine des neuen Jahrgangs April/Mai an einem Ort verkosten zu können.
Ein Pressegespräch in Mainz mit Verkostung ausgewählter Weine diente etwa zwei Monate vor der Weinbörse der Vorstellung des neuen Jahrgangs.
Etwa einen Monat vor der Weinbörse konnten die angemeldeten Kommissionäre alle gemeldeten Weine verkosten. So konnten sie mit dem Versand des Katalogs an ihre Kunden erste Einschätzungen des neuen Jahrgangs übermitteln. Diese wiederum konnten, sofern sie nicht persönlich nach Mainz kommen konnten, vorab Kaufaufträge platzieren.
Ohne den massiven, intern wegen der hohen Kosten nicht unumstrittenen Aufwand für Werbung und Anzeigen und Medienarbeit hätte sich die Weinbörse wohl kaum binnen weniger Jahre als „erste Adresse“ für den Weinfachhandel aus Deutschland und seinen Nachbarländern. etablieren können.
9. Wer konnte und kann die Weinbörse besuchen?
Als Handelsmesse stand die Weinbörse ausschließlich Wiederverkäufern und Handelsunternehmen offen. Die Öffnung für die Öffentlichkeit am letzten Verkaufstag wurde mehrfach erwogen, aber stets ablehnt. Folglich hat die Messe trotz einer Besucherzahl, die seit vielen Jahren die Tausendermarke übersteigt, nichts von ihrer Exklusivität verloren.
Ausländisches Fachpublikum war stets willkommen, vor allem Weinimporteure. Die Gäste kamen zunächst vorwiegend aus dem englischsprachigen Ausland und Japan, wo deutscher Riesling Anfang der siebziger Jahre noch immer in hohem Ansehen stand. Später kamen Weinfachleute aus den Benelux-Ländern und aus Skandinavien hinzu, mittlerweile auch aus nahezu allen wichtigen asiatischen Ländern.
Um die Zahl der Besucher und damit die Umsätze zu steigern und gleichzeitig das Thema „Essen und Wein“ in den Fokus zu rücken, drang Graf Matuschka 1979 auf eine Erweiterung des Kreises der Gäste um Vertreter der Gastronomie.
Seit den frühen achtziger Jahren nutzte auch die wachsende Zahl der Weinjournalisten die Möglichkeit, sich in Mainz ein erstes Bild des neuen Jahrgangs zu machen und ihre Kenntnisse über Wein zu vertiefen. Auch deswegen bot die Weinbörse in den siebziger und achtziger Jahren am Eröffnungstag eintägige Seminare für deutschsprachige Besucher an. Anfangs standen sie unter Titeln wie „Trockene und halbtrockene Weine“ (1977) oder die „Lagerfähigkeit und Haltbarkeit von Gutsweinen (1978). Mit Themen wie „Das gewinnbringende Weinangebot für Handel und Gastronomie“ (1982), „Gutsweine der Rheinfront – eine Spezialität“ (1983) oder „Ausgereifte Rheingauer Rieslingweine in Gastronomie und Handel“ (1984) trugen sie die Handschrift des VDP-Präsidenten Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau.
Ansonsten trafen die deutschen Fachleute in Mainz oft auf Besuchergruppen, die mit finanzieller Unterstützung des Deutschen Weininstituts aus dem Ausland zwecks Besuchs der Weinmesse nach Deutschland eingeladen worden waren. Auf diesem Weg wurde sichergestellt, dass etwa in englischen Fachzeitschriften aus Anlass der Weinbörse regelmäßig über die neuen Jahrgänge und die Entwicklungen auf dem deutschen Weinmarkt berichtet wurde. Ohne diesen Anlass wäre eine regelmäßige Berichterstattung wohl unterblieben.
10. Warum wurde die Weinbörse für den VDP so wichtig?
Als Veranstaltung des VDP wurde die Weinbörse bis weit in die neunziger Jahre hinein nicht wahrgenommen – und doch würde es den VDP in seiner heutigen Form ohne die Weinbörse als dem langjährigen Höhepunkt seiner Aktivitäten womöglich nicht geben.
Auf die Unterstützung des VDP brauchten die Veranstalter der Rheinhessischen Rieslingbörse beziehungsweise der Mainzer Weinbörse anfangs nicht zu zählen. Der Verband bestand zwar Mitte der 1970er Jahre wieder aus etwa 150 Mitgliedern. Aber die alten wechselseitigen Animositäten zwischen den „großen“ Regionen Rheingau, Mosel-Saar-Ruwer waren nicht nur nicht verschwunden, sondern standen allen Bemühungen seitens der Präsidenten Peter von Weymarn (1972-1978) und Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau im Weg, eine neue gemeinsame Identität auszubilden.
So beschränkte sich die Präsenz des VDP auf der Weinbörse selbst zunächst darauf, dass der jeweilige Präsident im Katalog mit einem Grußwort vertreten war und während der Eröffnung eine kurze, anlassbezogene Ansprache hielt. Für die Positionierung des VDP in weinbaupolitischen Fragen wurde eher das in der Regel für März anberaumte Pressegespräch ausersehen. Dieses zog regelmäßig dutzende Berichterstatter von Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Zeitschriften an, wurde doch bei dieser Gelegenheit immer auch der mit Spannung erwartete neue Jahrgang anhand ausgewählter Weine von VDP-Betrieben vorgestellt.
Gleichwohl waren 1978 beim Rückzug Weymarns vom Amt des VDP-Vorsitzenden erst ein Viertel der Mitglieder beziehungsweise die Hälfte der Regionalverbände auf der Mainzer Weinbörse vertreten. Mit Spannungen zwischen Weinbörse und VDP hatte sein Rückzug nichts zu. Die Begründung lautete vielmehr so. „Nach Jahren des Aufbaus und der Festigung der Reste der Naturweinversteigerer zu einem Verband, der sich bemüht, auf die Entwicklungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft eine traditionsverbundene und doch zukunftsweisende Antwort zu geben, wird immer störender bemerkbar, dass es leider nicht gelungen ist, in unseren eigenen Reihen die notwendige Solidarität zu finden, um eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit zu schaffen.“
Weymarns Nachfolger Erwein Matuschka-Greiffenclau stellte sich ohne Zögern hinter das Projekt. Neben den Spitzenweinversteigerungen, den regionalen Versteigerungen in Trier, Bad Kreuznach und Kloster Eberbach böten die Eberbacher Weinmesse und die Mainzer Weinbörse die Möglichkeit, „durch große Auswahl und Zusammenlegung des Angebotes neue Kunden zu gewinnen“. Der Handel wiederum erhalte durch diese Veranstaltungen „den Vorteil des Qualitätsvergleiches und der Transparenz des Anbietermarktes“. Die Winzer dagegen bekämen „Kontakt zu einem größeren Kundenkreis“ und erhielten durch „Probenvergleiche“ einen „Leistungsanreiz“.
1979 wurde das Vorhaben öffentlich gemacht, die Eberbacher Weinmesse und die Mainzer Weinbörse in dieselbe Woche zu legen, „um Ausländern die Möglichkeit zu geben, beide Veranstaltungen besuchen zu können“. Beide Veranstaltungen könnten von höheren Besucherzahlen profitieren. Tatsächlich wurden die Versuche intensiviert, Synergien zu erzeugen.1981 fanden Weinbörse und Weinmesse erstmals unmittelbar nacheinander statt. Allerdings kam es im Zuge der Terminkoordination immer wieder zu Konflikten. 1980 wiederum hatten erstmals auch Weingüter von Mosel, Saar und Ruwer an der Veranstaltung am Rhein teilgenommen. Von den großen Regionen fehlen Franken, Baden und Württemberg. Der Umsatz ging trotz steigender Mitgliederzahlen (einschließlich Vor- und Nachbörse und vor Messerabatt) auf 850 000 Mark zurück. Offiziell war von einer Million Mark die Rede.
1983 präsentierten sich auf der „10. Mainzer Weinbörse“ 47 Güter aus nunmehr sechs Regionen. Zum ersten Mal waren endlich auch Güter aus Franken am Rhein vertreten. Treibende Kraft dahinter war der von der Nahe stammende Michael Prinz zu Salm-Salm, der nach der Heirat mit Prinzessin Philippa von Castell-Castell die Leitung des Fürstlich Castell´schen Weingutes übernommen hat. Als zweiter VDP-Betrieb aus Franken wagte sich das Weingut Wirsching (Iphofen) nach Mainz. Es heißt, dass Peter Anheuser bei Hans Wirsching persönlich um die Teilnahme geworben habe.
1984 waren auf der Weinbörse erstmals alle größeren Anbaugebiete vertreten. Zum ersten Mal zeigten sich VDP-Betriebe aus Baden (zwei) und Württemberg (vier). Der Anteil der Rotweine an den ausgebotenen Weinen stieg aber zunächst nur kaum merklich an. Insgesamt konnten 662 Gutsweine (1983: 533, 1982: 427) von 52 Mitgliedsgütern verkostet werden. 70 Prozent der Weine waren Riesling, als Spätburgunder kamen 2,7 Prozent (17 Weine) daher, bei 27 Prozent hieß es „andere Rebsorten“. Anheuser hatte auf einen Umsatzsprung auf 1,5 bis 1,8 Millionen Mark gehofft, tatsächlich waren es am Ende vor Messerabatt 1,25 Millionen Mark.
Im folgenden Jahr brach der Umsatz unter dem Eindruck des Glykolskandals zusammen und ging auf 710 000 Mark (Grundpreise) zurück. 48 Betriebe stellten zusammen 550 Weine an. Noch immer betrug der Anteil lieblicher Weine 58 Prozent, was angeblich auf ein starkes Interesse seitens der Auslandsmärkte zurückzuführen war. Als halbtrocken wurden 16 Weine bezeichnet, trocken waren 26 Prozent.
Der Umsatzeinbruch hielt nicht an, konnten die VDP-Güter, die sich in der Erzeugergemeinschaft Mainzer Weinbörse zusammengefunden hatten, glaubhaft machen, dass der Traubenadler seine Bedeutung als Garant für Qualität nichts als Glaubwürdigkeit eingebüßt hatte. Zum zweiten Mal übernahm Ministerpräsident Bernhard Vogel 1986 die Schirmherrschaft und konnte daran erinnern, dass 1978 34 Weingüter aus vier Anbaugebieten in Mainz vertreten waren, nun aber 49 Betriebe aus acht Regionen. Der Umsatz (vor Messerabatt) überstiegt mit 1 203 000 Mark wieder eine psychologische wichtige Schwelle von einer Million Mark, ging aber im folgenden Jahr nochmals um hunderttausend Mark zurück.
1988 konnten die Besucher der Weinbörse erstmals Weine vom Mittelrhein kosten. Nicht zuletzt mit Blick auf die Teilnahme an der Weinbörse im nahegelegenen Mainz hatten sich fünf eher kleine Weingüter aus Bacharach zu einem Regionalverband zusammengeschlossen und zeigten sich nun auf Augenhöhe mit den Großen der deutschen Weinwelt. Weingüter aus Oberwesel und Boppard stießen allerdings erst später, Mitte der neunziger Jahre, dazu. Dasselbe gilt für die Weingüter von der Ahr und dem Hessischen Staatsweingut Bergstraße. Und erst zehn Jahre nach der Wiedervereinigung war mit dem sächsichen Weingut Schloss Proschwitz (Prinz zur Lippe) auch eines der beiden Anbaugebiete aus der ehemaligen DDR in Mainz vertreten. Betriebe aus dem Gebiet Saale-Unstrut kamen erst nach der Gründung des VDP-Regionalverbands Sachsen-Saale-Unstrut im Jahr 2010 dazu.
Alles in allem aber ist es der Weinbörse im Verlauf von vier Jahrzehnten gelungen, zu einem Forum für Spitzenweine aus allen deutschen Anbauregionen zu werden. Wie sich die wirtschaftliche Bedeutung der Weinbörse für die Mitgliedsbetriebe der Erzeugergemeinschaft und die einzelnen Regionen im Lauf der Jahrzehnte entwickelt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit angeben. Für die Jahre nach 1990 fehlt es an den Umsatzstatistiken, die Peter Anheuser seit 1980 mit immenser Akribie erstellt hatte. Im Jahr 1990 selbst waren allerdings auf der Weinbörse bei 760 Weinen von 67 Weingütern erstmals mehr als zwei Millionen Mark (vor Messerabatt) umgesetzt worden.
Das Jahr 1990 bedeutete indes auch in anderer Hinsicht eine Zäsur für die Weinbörse. Im Spätwinter 1989 hatte Matuschka-Greiffenclau nach elf zehn Jahren im Amt des VDP-Präsidenten bekannt gegeben, nicht länger für dieses Amt zu Verfügung zu stehen. Seine Begründung klang der seines Vorgängers ähnlicher, als ihm lieb sein konnte. Außer auf eine Arbeitsüberlastung und einem zu hohen Zeitaufwand für den Verbandsarbeit verwies Matuschka auf „die destruktive Einstellung vieler Mitglieder im VDP, die zwar gerne ihre Weine mit dem Verbandszeichen schmücken, sich (sic D.D.) aber dem VDP gegenüber nicht verpflichtet fühlen und sich auch nicht engagieren.“
Zum Nachfolger Matuschkas wählten die annähernd 150 Mitgliedsbetriebe des VDP Michael Prinz zu Salm-Salm, der mittlerweile aus Franken an die Nahe zurückgekehrt war und unter anderem die Leitung des Familienweingutes Schloss Wallhausen übernommen hatte. Unter der Ägide Salms führte der Strukturwandel innerhalb des Verbandes zu einer starken Zunahme der Zahl der Güter, die in Mainz ihre Weine präsentierten. Nach der Formulierung neuer Verbandsziele (Nachhaltigkeit), der Verschärfung der verbandsinternen Qualitätsziele und dem Beginn der Arbeit an einer Lagenklassifikation schieden im Lauf der neunziger Jahre etwa 60 Betriebe in aller Stille aus dem Verband aus. Etwa siebzig ambitionierte neue Weingüter traten an deren Stelle.
Heute sind Weingüter wie Christmann, Rebholz oder Wehrheim (Pfalz), Dönnhoff, Diel und Emrich-Schönleber (Nahe), Kühling-Gillot, Keller oder Wittmann (Rheinhessen), Künstler, Kühn und Kesseler (Rheingau), Fürst, Sauer und May (Franken), Meyer-Näkel und Adeneuer (Ahr), Forstmeister Geltz-Zilliken oder Heymann-Löwenstein (Mosel), Jost und Müller (Mittelrhein), Aldinger, Ellwanger oder Drautz-Able (Württemberg) oder auch Heitlinger-Burg Ravensburg, Huber und Salwey (Baden) in vielen Ländern der Welt ein Begriff. Die meisten von ihnen waren Anfang der neunziger Jahre noch nicht einmal Mitglied im VDP. Die Weinbörse war für sie wie geschaffen, um sich und ihre Weine persönlich einem breiten nationalen und internationalen Fachpublikum präsentieren zu können. Dasselbe galt und gilt die wenigen Weingüter aus den Anbaugebieten Saale-Unstrut und Sachsen, die nach der Wiedervereinigung über der VDP den Anschluss an die deutsche Spitze suchten.
So betrachtet ist die Weinbörse auch ein Gradmesser für den Strukturwandel innerhalb der einzelnen Anbaugebiete, und dies gleich doppelt. So konnten die Besucher in Mainz nicht nur neue Betriebe und ihre Weine aus Regionen wie der Südpfalz, dem rheinhessischen Hinterland und Teilen Badens und Frankens unter die Lupe nehmen, in denen bei der Gründung der Weinbörse noch keine Weine erzeugt worden waren, die es mit denen aus den klassischen Qualitätsweingebieten hätten aufnehmen können. Gleichzeitig traten in Anbaugebieten wie der Nahe junge Weingüter die Nachfolge von Betrieben an, die aus welchen Gründen auch immer nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Im Rheingau wiederum waren die vergangenen Jahrzehnte von einem beispiellosen Rückzug nahezu aller traditionsreichen adeligen Weingütern gekennzeichnet. Diese Entwicklungen vollzogen sich zwar zumeist in aller Stille innerhalb des VDP, fanden aber in jedem Jahr ihren Niederschlag im Katalog der Weinbörse.
11. Wie wurden die Weine anfangs verkostet und wie ist es heute?
In den ersten Jahren wurden Flaschen nummeriert eingekühlt und konnten in Gegenwart der Inhaber oder eines Verwalters am Tisch des jeweiligen Weingutes verkostet werden. Bis Ende der achtziger Jahre stand dazu vor jeder Flasche genau ein Knopfkelchglas, das immer wieder nachgefüllt wurde. Wer einen Wein probieren wollte, musste dieses Glas benutzen. Spucknäpfe standen bereit. Mit Blick auf die Teilnahme von (wenigen) Frauen galt ein Lippenstiftverbot. Mittlerweile erhalten die Gäste eigene, qualitativ hochwertige Gläser, um die Weine verkosten können.
12. Wie wurden die Weine anfangs gehandelt und wie ist es heute?
In den Anfangsjahren war es offiziell nicht möglich, Weine direkt zu ordern. Diese Aufgabe oblag gut zwei Dutzend Kommissionären. Sie hatten den gedruckten Katalog vorab in einer von ihnen gewünschten Stückzahl zugesandt bekommen und kamen somit schon oft mit einigen Aufträgen in der Tasche nach Mainz. Vor Ort nahmen sie von den Messegästen an eigens aufgebauten Tischen Aufträge entgegen und konnten überdies für die Abwicklung des Transports in Anspruch genommen werden konnten. Die Provision für Kommissionäre betrug anfangs sieben Prozent des Rechnungsendbetrags (zwei Prozent Verkäufer, fünf Prozent Verkäufer) wurde ab 1978 als „handelsüblich“ nicht weiter spezifiziert. Lange Zeit hieß es, Kommissionäre „beraten beim Verkauf und übernehmen die Transport-Abwicklung“.
Mittlerweile spielen Kommissionäre bei Beratung und Verkauf kaum noch eine Rolle. Der Berufsstand ist fast ausgestorben. 1976 waren auf der ersten Mainzer Weinbörse 18 Kommissionäre vertreten, 1980 waren es 21, 1990 nach wie vor 20, zehn Jahre später wie auch 2010 aber nur noch acht, mittlerweile (2019) sind es nur noch fünf.
Verschwunden sind auch der an den Messetagen gewährte Rabatt von zunächst zehn und später fünf Prozent, die bis zu 90 Tage nach der Börse gültigen nach Menge gestaffelten Rabatte auf den Handels-Grundpreis und besondere Gebietsrabatte. Anfangs waren diese attraktiven Konditionen für viele Fachhändler und Großkunden ein Argument, um sich in Mainz mit Weinen des neuen Jahrgangs einzudecken. Allerdings galt pro Wein mit Ausnahme von Auslesen und Beerenauslesen eine Mindestabnahmemenge von 120 Flaschen. Wer nicht an den Messetagen persönlich in Mainz sein konnte, sollte deswegen in der Anfangszeit nicht schlechter gestellt sein. Tatsächlich konnte der sogenannte Nachbörseumsatz sogar höher sein als der Umsatz an den zwei beziehungsweise drei Messetagen selbst – ganz abgesehen davon, dass die Umsätze nicht nur von der Größe beziehungsweise der Reputation der Weingüter und der Zahl der angestellten Weine abhingen.
Weine von geringer Qualität waren im direkten Vergleich mit anderen Weinen oftmals chancenlos – was als Anreiz dazu diente, sich mit möglichst guten Weinen zu präsentieren. Die direkte Konkurrenz anfangs mehrerer dutzend und heute von fast zweihundert Weingütern ist in ihren Wirkungen nicht zu unterschätzen: Wurde die Präsenz auf der Weinbörse für die einem zu einem starken Motiv zur dauerhaften Steigerung der durchschnittlichen Qualität ihrer Weine, so konnte die mangelnde Resonanz ihrer Kollektion andere davon zu der Einsicht bringen, dass es besser wäre, den VDP zu verlassen.
13. Was hatten die Weinbaupolitik auf der Mainzer Weinbörse zu suchen?
Auf Anraten der von Beginn an eingeschalteten Medienagenturen wurde die jährlichen, meist für den Monat März anberaumten Pressegespräche nicht nur dazu genutzt, den neuen Weinjahrgang in einem möglichst guten Licht erscheine zu lassen. Die Anwesenheit oft mehrerer Dutzend Journalisten und ein in die hunderte gehende Zahl der Gäste bei der Eröffnung der Weinbörse nutzten (und nutzen) alle Präsidenten von Peter von Weymarn (1972-1978) über Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau (1978-1989), Michael Prinz zu Salm-Salm (1989-2006) und Steffen Christmann (2006- ) traditionell dazu, aktuelle weinbaupolitische Fragen anzusprechen und die Positionen und Anliegen des Verbandes zu erläutern.
Die Themen, die auf diesem Weg in die Öffentlichkeit getragen wurden, lesen sich rückblickend wie eine Chronik der Absetzung des VDP von den Positionen des Deutschen Weinbauverbands und damit der Herausbildung einer eigenen Identität.
Schon immer richtete sich die Kritik an der bis heute nicht aus der Welt geschaffenen bezeichnungsrechtlichen Möglichkeit, Weine unter dem Namen von sogenannten Großlagen auf den Markt zu bringen, die von den Namen von Einzellagen nicht zu unterscheiden sind und damit auf die Täuschung von Verbrauchern zielen. Um Klarheit und Wahrheit ging es auch immer wieder bei Fragen wie der, welche Weine als Erzeuger- oder „nur“ als Kellereiabfüllung bezeichnen sind, oder bei der Forderung, die Weinkontrolle zu stärken. Dem Ansehen des deutschen Weins für abträglich hielt der VDP auch immer die Bestimmungen über die (regional und nach Rebsorten unterschiedlichen) Hektarhöchsterträge.
Die VDP-Präsidenten beließen es jedoch nicht dabei, andere Akteure zu kritisieren, sondern nutzten die Eröffnung der Weinbörse einschließlich des gedruckten Kataloges immer mehr dazu, die Anstrengungen des Verbandes zur stärkeren Profilierung der deutschen Spitzenweine in den Vordergrund zu stellen. Besondere Bedeutung kam dabei den Bemühungen zunächst einzelner Regionalverbände und dann des Bundesverbandes zu, eine privatrechtliche Lagenklassifikation nach burgundischem Vorbild einzuführen. Auch die Etablierung der „Großen Gewächse“ als den trockenen Spitzenweinen aus Ersten beziehungsweise Großen Lagen wurde auf der Weinbörse thematisiert, wenngleich diese Veranstaltung nicht als Bühne für die GG gedacht war.
In dem Maß aber, wie das GG-Konzept des VDP im Zuge der jüngsten Reform des deutschen Weinrechts wieder bedroht ist, standen auch die jüngsten Weinbörsen im Zeichen nicht enden wollender Kontroversen über den besten Weg, dem deutschen Wein einen Platz in der Weltspitze zu sichern.
14. Und was Politiker?
Um der neuen „Mainzer Weinbörse“ zu überregionaler Bekanntheit zu verhelfen, wurde die Schirmherrschaft über diese Veranstaltung 1976 nicht allein dem sozialdemokratischen, ungemein populären Oberbürgermeister Jockel Fuchs (1965-1988) angetragen. Dem städtischen Wirtschaftsdezernenten Rainer Brüderle (FDP) gelang es 1976, seinen Parteifreund und Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs (FDP) für die Eröffnungsfeier zu gewinnen.1977 sprach der langjährige rheinland-pfälzische Landwirtschaftsminister Otto Meyer (CDU) ein Grußwort, 1978 zum ersten Mal Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU). Landes- und Bundespolitiker wie die Landwirtschaftsminister Josef Ertl (FDP) oder Ignaz Kiechle (CSU) wechselten sich in lockerer Folge ab beziehungsweise ließen sich durch Staatsekretäre vertreten.
Alle hüteten sich jedoch davor, in dem epischen Streit zwischen dem VDP und dem Deutschen Weinbauverband über den Kurs der Weinbaupolitik offen für eine Seite Partei zu ergreifen. Zwischen den Zeilen allgemein formulierter Mahnungen zu Selbstbeschränkung und Maßhalten ist jedoch immer wieder Verständnis für die Bestrebungen des VDP zu erkennen, in Deutschland mehr auf Klasse denn auf Masse zu setzen.
Nicht zu überschätzen ist jedoch die Anwesenheit von Politikern für die Möglichkeit, den VDP als traditionsverbundenen Hüter der deutschen Weinkultur zu inszenieren und auf den Rundgängen über die Messe und in informellen Gesprächen auf die Anliegen des Verbandes zu sprechen zu kommen. Wo der Deutsche Weinbauverband gegenüber der Politik auf hard power setzte, war der VDP mit soft power nicht weit.
15. Warum dauerte die Eröffnungsveranstaltung oft länger als eine Stunde?
Seit der Übernahme der Weinbörse durch den VDP bat der Präsident regelmäßig mehr oder weniger namhafte Gäste und international bekannte Persönlichkeiten der Weinbranche um einen kurzen Redebeitrag. Dieser geriet oft zu einem Spiegel nicht nur der aktuellen Entwicklungen, sondern auch des Agierens des VDP. Nachdenklichkeit und Kritik waren ebenso erwünscht wie Ermunterung, sei es von amerikanischen Importeuren wie Willie Gluckstern, Steve Miller und Rudi Wiest, englischen Beobachtern wie Freddie Price, französischen Weinkritikern wie Michel Bettane und Sommeliers aus Deutschland wie Christina Fischer. Zu den Höhepunkten der Weinbörse zählten auch die Jahre, in denen der VDP die Gelegenheit nutze, um verdiente Persönlichkeiten vor den Augen der in Mainz versammelten Weinwelt mit der Ehrennadel des VDP in Gold auszuzeichnen, zuletzt im Jahr 2016 Jancis Robinson. Auch für die Auszeichnung mit der silbernen Ehrennadel bot und bietet die Weinbörse immer wieder einen willkommenen Rahmen.
Zunehmend Raum einnahmen aber auch Verleihungen der „Trophy Herkunft“ durch den VDP und die gemeinsam mit dem Meininger Verlag entwickelten Ehrungen von Gastronomen, Weinhändlern oder und Sommeliers für ein „Ausgezeichnetes Weinkonzept“. Die schon im Jahr 2005 formulierte These, wonach die Weinbörse der „Nabel der deutschen Weinwelt“ (Prinz Salm) sei, hat sich seither in jedem Jahr mehr bewahrheitet.
16. Welche Bedeutung hatte (und hat) die Mainzer Weinbörse für den Weinhandel?
Der Katalog sowie die Eindrücke, die die Kommissionäre mehrere Wochen vor der eigentlichen Börse bei einer eigens organisierten Probe gewonnen hatten, ergaben zusammengenommen eine valide Übersicht über Quantität und Qualität des jeweils neuen Jahrgangs. Wiederverkäufer, allen voran den Fachhändler, später auch immer mehr Gastronomen, Sommeliers und Weinkritiker, konnten (und können) sich daher im zeitigen Frühjahr ein gebietsübergreifendes Bild des Angebotes an Spitzenweinen des neuen Jahrgangs machen.
Ein vergleichbares Format, wie es etwa die alle zwei Jahre in Wien stattfindende VieVinum, die Vinitaly oder die Vinexpo in Bordeaux ist, hat die deutsche Weinwirtschaft unter Führung des Deutschen Weinbauverbandes beziehungsweise des Deutschen Weinbauinstituts nie auch nur im Ansatz ins Auge gefasst. Das Weinangebot auf der alljährlich in Düsseldorf stattfindenden ProWein wiederum ist zwar breiter, aber nicht tiefer. Außerdem sind dort aufgrund der hohen Standpreise und des frühen Zeitpunktes deutlich weniger Güter vertreten als wenige Wochen später in Mainz.
17. Warum war und ist die Weinbörse ein Seismograph der oft krisenhaften Entwicklungen der deutschen Weinwirtschaft?
Standen die 1970er Jahre anfangs ganz im Zeichen der Hoffnung auf eine Steigerung des Vertrauens in die deutschen Weine und des Pro-Kopf-Absatzes, so stellte sich angesichts vieler mäßiger bis schlechter Jahrgänge bald Ernüchterung ein. Doch tendenziell war im Zuge der Flurbereinigungen in allen Regionen und der Pflanzung von Klonen, die hohe Erträge versprachen, mit einer stetigen Steigerung des durchschnittlichen Erntemenge zu rechnen. Wiederholte Forderungen nach einer freiwilligen Selbstbeschränkung der Weinbranche verhallten jedoch ungehört. Die regionalen Egoismen waren zu stark, gar nicht zu reden von der Macht der Kellereien, die mit dem Export von Massenweinen glänzende Geschäfte machten. Ende der 1970er Jahre verhießen eine Serie mengenmäßig kleinerer Jahrgänge eine gewisse Entspannung. Doch das Vertrauen in den deutschen Weinbau hatte wieder abgenommen.
Zum einen machte sich das in den siebziger Jahren in Gestalt vieler fehlerhafter, einen penetranten Geranienton aufweisenden Weine bemerkbar, dass die Weinbranche im Keller nach wie vor auf den massiven Einsatz von Produkten der chemischen Industrie setzte: 1973 war die Chemikalie Diäthylcarbonat (Baycovin) wegen schwerwiegender gesundheitlicher Bedenken als verboten worden. Diese durfte Jahren dem füllfertigen Wein als Konservierungsmittel zugesetzt werden, um die aufwendige kaltsterile Flaschenfüllung zu vermeiden: Keimabtötend, geschmacks- und geruchsneutral, so das Versprechen des Herstellers. Was tun: „Viele Betriebe werden deshalb zur Haltbarmachung ihrer Weine mehr als bisher auf Sorbinsäure als Konservierungsmittel ausweichen“, prophezeite die Zeitung der Deutsche Weinbau. Sie sollte recht behalten. In den Katalogen der Weinbörsen der siebziger Jahre hat der Weinkommissionär Joachim Ress diverse Weine mit dem einen Wort „Ton“ charakterisiert.
Ausgangs der siebziger Jahre schlugen die Wogen der Empörung abermals hoch: Die Mainzer Staatsanwaltschaft war mit der Nachricht an die Öffentlichkeit gegangen, dass die Weinbranche nach wie vor in großem Stil den seit 1971 für die Anreicherung von Wein verbotenen Flüssigzucker (Invertzucker = gleiche Anteile von Glucose und Fructose) einsetzen würde, um aus einfachen Weinen Prädikatsweine wie Kabinett und Spätlese zu machen. Nachweisen ließen sich diese Manipulationen in den Weinen selbst nicht mehr, da der Zucker im Zuge der Gärung in Alkohol umgewandelt wurden war. Aber die Menge von 5,7 Millionen Kilogramm Invertzucker, die nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seit 1978 zum Einsatz gekommen war, erschien so gewatig, dass die Verunsicherung war auch innerhalb des VDP groß war.
Umgehend forderte der Verbandpräsident Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau von allen Mitgliedern eine schriftliche Erklärung, dass in ihren Betrieben kein Flüssigzucker eingesetzt werde, weder zur Anreicherung der Moste noch als Süßreserve. In mindestens einem Fall war das Papier die Unterschrift nicht wert. 1983 kam das Chemische Untersuchungsamt Trier dem langjährigen Weinbaupräsidenten Werner Tyrell auf die Schliche. Der Besitzer des Weinguts Karthäuserhof, der Peter von Weymarn und damit dem VDP in den siebziger Jahren das Leben schwergemacht hatte, hatte über Jahre hinweg alle Arten von Prädikatsweinen von Kabinett bis Beerenauslese mit gezuckerter Süßreserve oder nachträglicher Zuckerung „verbessert“. Tyrell wurde aus dem Verband ausgeschlossen und im August 1985 wegen Vergehen gegen das Weingesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und zu einem Bußgeld in Höhe von 120 000 Mark verurteilt. Zum 1. Januar 1989 wurde Tyrell in den Großen Ring mit den Weinen des Jahrgangs 1988 wiederaufgenommen.
Der Beitritt zu der Erzeugergemeinschaft Mainzer Weinbörse e.V., der Tyrell nicht angehört hatte, gestaltete sich schwieriger. Nach heftigen Diskussionen fand sich eine (nur ohne die Enthaltungen zustandegekommene) Zweidrittelmehrheit bereit, das Weingut zum 1. Januar 1990 wiederaufzunehmen.
Einige gute Seiten aber hatte die bis dahin größte Weinpanscheraffäre nach dem Krieg gleichwohl, auch manch eine renommierte Weinhandlung alle deutschen Weine auf einen Schlag auslistete. Die Nachfrage nach trockenen Weinen stieg rapide. Schon vor den Veröffentlichungen der Staatsanwaltschaft Mainz vorsichtiger geworden waren einige Kellereien, die bislang bei renommierten Weingütern Fassweine gekauft hatten, um ihr sweet-and-cheap Sortiment mit Prädikatsweinen aus bekannten Einzellagen zu veredeln. Viele unbescholtene Weingüter mussten sich daher ausgangs der 1970er Jahren nach neuen Absatzwegen umschauen. Kein Wunder, dass auf der Weinbörse des Jahres 1980 erstmals auch Weingüter von der Mosel und ihren Nebenflüssen Saar und Ruwer vertreten waren.
Ebenfalls nicht unüblich war es, ausländische Weine zu importieren und sie in mehr oder weniger großem Stil als deutsche Weine auszugeben. Diese als „Germanisierung“ bekannt Praxis war ebenso illegal wie die gängige Methode, Weine über die Grenzen von Anbaugebieten hinaus miteinander zu verschneiden, also etwa Weine aus der Pfalz an die Mosel zu verfrachten, um aus sauren halbwegs süße „Möselchen“ zu machen. Als die die Umwidmung von ausländischen zu deutschen Weinen anfangs der 1980er Jahre außerhalb der Branche ruchbar wurde, mussten zur Begründung die geringen Ernten in den Jahren 1980 und 1981 herhalten.
Unter Manipulationsverdacht gerieten auch dieses Mal wieder die großen Kellereien, vorzugsweise an der Mosel, in Rheinhessen und an der Nahe. Der Weinskandal des Jahres 1984 wegen Weinen, die in Österreich anstatt mir Glycerin mit Glykol versetzt und in Tankwagen zu Preisen nach Deutschland exportiert wurden, die jeden Abnehmer hätten stutzig machen müssen, brachte das sprichwörtliche Fass schließlich nur noch zum Überlaufen.
Gewissermaßen über Nacht brach der Absatz deutscher Weine im In- wie im Ausland zusammen. Zu dieser Entwicklung beigetragen haben aber auch eine starke Abwertung des Dollar. Der 1986er Jahrgang sollte dann wegen des Reaktorunfalls im damals sowjetischen Tschernobyl in Asien als „verstrahlt“ gelten.
In manchen Ländern, allen voran Japan, hat sich selbst der deutsche Spitzenwein von diesem Absatzeinbruch bis heute nicht mehr vollständig erholt. Allerdings wurde dieser Verlust durch das Entstehen neuer Märkte in Skandinavien in der Zwischenzeit mehr als ausgeglichen.
Dem Ruf der Mainzer Weinbörse als einer skandalfreien Zone konnten diese Entwicklungen nichts anhaben. Der Umsatz ging 1986 nur kurz unter eine Marke von einer Million Mark zurück und überstieg schon im Jahr 1990 die Schwelle von zwei Millionen.
Auch die mehrfache Erweiterung der EU um bedeutende Weinerzeugerländer wie Spanien, Portugal und Griechenland waren auf der Weinbörse kaum zu spüren. Den klassischen deutschen Weinweinen erwuchs dadurch keine Konkurrenz, und deutsche Rotweine, die diesen Namen verdienten, gab es nur in so geringen Mengen, dass sie selbst in den VDP-Betrieben (von Württemberg und Baden abgesehen) vor der Jahrhundertwende kaum ins Gewicht fielen.
Andere wirtschaftspolitische Entwicklungen hatten stärkere Auswirkungen auf Produzenten und Handel: In den siebziger und achtziger Jahren stiegen die Durchschnittspreise der angestellten Weine kaum. Inflationsbereinigt sanken sie sogar. In den neunziger Jahren entwickelte sich die Weinbörse zum Gradmesser dafür, wie sehr der VDP eigene Wege ging, um das Vertrauen in deutsche Spitzenweine wiederherzustellen.
Mit der Herausstellung klassischer Rebsorten, der Beschränkung der Höchsterträge, der Verpflichtung zur Handlese bei den besten Qualitäten oder auch Kommunikation der
der Bemühungen in vielen Regionen um eine Profilierung der Herkünfte durch eine privatrechtliche Klassifikation der Weinbergslagen präsentierte sich der VDP in jedem Jahr aufs Neue als politischer Gegenspieler des von Kellereien und Genossenschaften dominierten Deutschen Weinbauverbandes seines Deutschen Weininstituts.
18. Warum war die Weinbörse für den Aufstieg vormals randständiger Anbauregionen und neuer ambitionierter Betriebe zu wichtig?
In den frühen siebziger Jahren schien es kaum vorstellbar, dass auf nationaler wie internationaler Ebene jemals andere Spitzenweine aus Deutschland eine Rolle spielen würden als frucht- und edelsüße Riesling-Spät- und Auslesen aus dem Rheingau und der Pfalz, von einigen Weingütern an der unteren Nahe sowie von der rheinhessischen Weinfront, dazu die leichteren Kabinettweine und Spätlesen von Mosel, Saar und Ruwer, hier und da noch ergänzt durch Steinwein aus Würzburg und Umgebung.
An dieser Konstellation änderte sich zunächst nichts, obwohl in einer wachsenden Zahl von Weinschriften und -büchern bis hin zu den jährlich neuen Listen der „100 besten Weingüter“ aufmerksam registriert wurde, dass sich auch in randständigen Regionen wie Württemberg, Baden, der fränkischen Peripherie und der Süd- wie der Nordpfalz, nicht zu vergessen das rheinhessische Hinterland sowie die kleinen Anbaugebiete Mittelrhein und Ahr immer mehr junge Winzer mit Weinen präsentierten, die das Zeug hatten, den etablierten Spitzenweinen Konkurrenz zu machen.
In den diversen Regionalverbänden des VDP manifestierte sich diese Entwicklung durch eine deutlich steigende Zahl von Neuaufnahmen nach der Übernahme der Präsidentschaft durch Prinz Salm deutlich früher als auf der Mainzer Weinbörse. Um sich dort zeigen zu können, mussten die aufstrebenden Weingüter einen undurchsichtigen Aufnahmeprozess durchlaufen und wurden nicht selten im ersten Anlauf abgelehnt, sei es, um neue Konkurrenz zu verhindern, sei es, weil sie Peter Anheuser als Vorsitzendem der Erzeugergemeinschaft nicht genehm waren. Erst nach der Auflösung des Vereins um die Jahrhundertwende konnten alle Mitglieder des VDP ohne weitere Bedingungen an der Weinbörse teilnehmen. Im Durchschnitt der Jahre tun dies inzwischen zwischen achtzig und neunzig Prozent der Betriebe, auch wenn sich das Interesse der Gäste nicht gleichmäßig auf die Regionen und die jeweiligen Betriebe verteilt.
19. Warum ist die Weinbörse ein Spiegel der Veränderungen der Stilistik der deutschen Spitzenweine und damit auch der jüngeren Weinbaugeschichte?
Der vorherrschenden Geschmacksrichtung in Deutschland wie auch der Nachfrage aus dem Ausland nach den traditionell frucht- und edelsüßen Spitzenweinen aus Deutschland präsentierten auch die Rieslinggüter aus Rheinhessen sowie ab 1976 die Messegüter aus dem Rheingau und von der Nahe fast ausschließlich halbtrockene und liebliche Weine. Da in den siebziger Jahren viele Rieslingweine nicht den Ansprüchen an halbwegs große Weine genügten, was es nicht nur üblich, sie im Rahmen des weingesetzlich Erlaubten (oder dem, was man dafür mit Unschuldsmiene hielt) mit Weinen aus anderen Rebsorten und Jahrgängen geschmacklich aufzubessern. In Rheinhessen war es überdies nicht ungewöhnlich, Riesling ganz offiziell mit Silvaner zu verschneiden oder Auslesen aus der Rebsorte Müller-Thurgau zu keltern. Weine aus Neuzüchtungen waren auf der Riesling- wie auf der Weinbörse anfangs nur selten zu sehen und verschwanden später ganz. Weiße Burgundersorten spielten in den ersten Jahren ebenfalls kaum eine Rolle.
Allerdings wurden trocken ausgebaute Weine schon 1976 zusammen mit Schoppenweinen in Literflaschen sowie einer Handvoll Rotweine (aus Rheinhessen!) als eigene Kategorie beworben. Später zeigten auch einige Weingüter mitunter Winzersekte. Auf trockene Weine entfielen im Gründungsjahr der Weinbörse 1,5 Prozent der angestellten Partien, aber schon drei Prozent des Umsatzes. Vier Jahre später betrug der Anteil der gesetzlich trockenen Weine mit bis neun Gramm Restzucker bereits 15 Prozent oder 23 600 Flaschen. Doch noch immer waren 84 Prozent der Weine halbtrocken oder lieblich.
Im Verlauf der folgenden zwei Jahrzehnte lernten immer mehr Weingüter, trockene Weine so herzustellen, dass nicht nur die klassischen frucht- und edelsüßen Spitzenweine aus Deutschland den Anspruch erheben konnten, die „greatest white wines of the world“ (Hugh Johnson auf der Weinbörse 2000) zu sein.
Neben Weißweinen aus der Rebsorte Riesling traf dies vor allem auf Weine aus den Rebsorten der Burgunderfamilie zu, allen voran Weißburgunder. Silvaner wurde über die Jahre zu einer Rebsorte, deren Reifepotential und deren Eigenschaften als Speisenbegleiter nur noch in Franken geschätzt wurden – aber dies auf einem historisch einmalig hohen Niveau.
Ebenfalls auf einem historisch einmalig hohen Niveau zeigten sich seit der Jahrhundertwende die aus den Rebsorten Spätburgunder und Lemberger (Blaufränkisch) erzeugten Rotweine. Was VDP-Betriebe an der Ahr, in der Südpfalz, im Kraichgau und Südbaden, im Remstal und im württembergischen Unterland präsentierten, hatte kaum noch etwas mit dem zu tun, was noch in den achtziger Jahren als deutscher Rotwein durchgegangen war: die Spanne reichte damals von säuerlichen, fast roséfarbenen Spätburgundern über Weißherbst bis zu eher undefinierbaren Flascheninhalten, die mit Hilfe von Deckrotwein von wo auch immer und Kurzzeiterhitzung einigermaßen ansehnlich und geschmacklich gefällig gemacht worden waren. Maischestandzeit war ein Fremdwort, Professoren und Weinberater warnten unisono vor biologischem Säureabbau, das „kleine Holzfass“ war unbekannt.
Was für ein Unterschied zu den trockenen ausgebauten Spätburgundern und Lembergern, die die Mitglieder der „Hades“-Gruppe in Württemberg und die vielen VDP-Betriebe im Deutschen Barrique-Forum von Jahr zu Jahr mehr auf der Weinbörse präsentierten. Sicher gab es auch andere Foren, etwa den Deutschen Rotweinpreis, auf denen sich die Fortschritte bei der Weinbergs- und der Kellerarbeit mit Händen greifen ließen. Aber wiederum war es die Weinbörse, auf der sich Weinenthusiasten aus allen Kontinenten sich innerhalb von zwei Tagen ein nahezu vollständiges Bild des deutschen Rotweinwunders machen konnten.
Anfang September 2002 allerdings präsentierte der VDP in Berlin erstmals eine neue Kategorie trocken ausgebauter Spitzenweine aus traditionellen Rebsorten, die „Großen Gewächse“. Diese konnten nun auch aus den roten Sorten Spätburgunder und Lemberger (Blaufränkisch) gekeltert worden sein. Wer sich ein Bild des neuen Jahrgangs der GG und damit auch der besten Rotweine machen möchte, konnte fortan (und kann) auf Einladung an der mehrtägigen GG-Vorprobe teilnehmen, die der VDP seit mehr als zehn Jahren jeweils Ende August und damit kurz vor dem Verkaufsstart des neuen GG am 1. September eines jeden Jahres ausrichtet.
Unter den Weinen, die dort gezeigt werden, sind mittlerweile ein nicht unerheblicher Teil nach ökologischen Richtlinien erzeugt, nicht selten nach den Ideen der Biodynamie. Auch diese Entwicklung ist insofern mit der Mainzer Weinbörse verbunden, als dort schon in den frühen neunziger Jahren Bioweine gezeigt wurden, die diesen Namen nicht etwa deswegen trugen, weil der Hinweis auf ökologische Prinzipien nicht selten dazu diente, Weinfehler zu kaschieren oder zu entschuldigen. Nein, ausgerechnet Peter von Weymarn, der Ideen- und Taktgeber der Riesling- und dann der Weinbörse, hatte sich krankheitsbedingt schon früh mit dem Thema ökologischer Landbau beschäftigt. 1983 war Weymarn unter den Teilnehmern der „Arbeitsgemeinschaft der ökologischen Winzer in Rheinhessen“, die zwei Jahre später die Initiative zur Gründung des „Bundesverbands Ökologischer Weinbau“ (Ecovin) ergriff.
Nachfolger in seinem Verband oder auch nur in seiner Region fand der bis 1978 amtierende VDP-Vorsitzende zunächst nicht. Es dauerte bis in die neunziger Jahre, bis in der Ägide von Michael Prinz zu Salm-Salm dem Thema Nachhaltigkeit innerhalb des VDP mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurden. Heute ist die Orientierung der Spitzenbetriebe an ökologischen Standards auch ohne die Mitgliedschaft in einem Verband wie Demeter, Naturland oder Ecovin so selbstverständlich, dass viele Weingüter keinen besonderen Wert mehr darauflegen, dass ihre Weine – wie noch in den achtziger Jahren – im Katalog als Ökoweine herausgestellt werden.
Doch zurück zu den Großen Gewächsen: Auf der Weinbörse wurden sie nach 2002 nur noch selten gezeigt – aber wenn, dann handelte es sich nicht um Weine des neuesten Jahrgangs, sondern um solche, die schon eine Zeit auf der Flasche gereift waren. Noch seltener waren (und sind) gereifte Weine auf der ProWein in Düsseldorf zu finden, die schon im März und damit noch früher im Jahr als die Weinbörse stattfindet. Zuletzt beteiligten sich an der ProWein nur etwa die Hälfte der VDP-Mitglieder, die in Mainz vertreten sind. Hinsichtlich der Breite und der Tiefe des Angebots ist die Mainzer Weinbörse daher als Bühne der meisten deutschen Spitzenweine unübertroffen, wenn nicht unersetzlich.